Montag, 21. Februar 2011

Glücksspielprobleme in Deutschland weit verbreitet - Geldspielautomaten machen am häufigsten süchtig

Pressemitteilung DHS, DG Sucht und fags vom 16. Februar 2011

Ergebnisse des Projektes Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE)


Bisherige Daten zu Problematischem und Pathologischem Glücksspielen in Deutschland waren lückenhaft. Insbesondere hinsichtlich der Auswahl der Befragten, der eingesetzten Erhebungsverfahren und der Auswertungsstrategien bestand der Bedarf nach einer breit angelegten Bevölkerungsstudie, die repräsentativ das Ausmaß der Problematik darstellen sowie begünstigende Faktoren ermitteln kann. Der Glücksspielstaatsvertrag vom 1. Januar 2008 sah vor, dass die Länder die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung von Suchtgefahren durch Glücksspiele sicherstellen. Aus den zur Verfügung gestellten Mitteln konnte nun eine methodisch fundierte und groß angelegte Studie finanziert werden.

Im Folgenden werden ausgewählte und zum Teil vorläufige Ergebnisse des von den Bundesländern im Rahmen des Glücksspielstaatsvertrags geförderten Projektes PAGE berichtet. Die von den Universitäten Greifswald und Lübeck durchgeführte Studie erlaubt erstmals für Deutschland die Häufigkeit von Problematischem und Pathologischem Glücksspielen über die Lebenszeit zu bestimmen. Dabei erfolgt die Schätzung auf einem hohen methodischen Niveau.

Grundlage ist eine telefonische Befragung der 14- bis 64-jährigen Bevölkerung mit Festnetztelefonanschluss, bei der 14.022 Personen teilnahmen. Ergänzend wurden 1.000 Personen befragt, die nur über mobile Telefonanschlüsse erreichbar sind, und es wurden Personen über weitere Zugangswege gewonnen: Medien,Selbsthilfegruppen, stationäre Behandlungseinrichtungen, Suchtberatungsstellen, Spielhallen und Spielbanken, Schuldnerberater und Einrichtungen der Bewährungshilfe. Auf diesem Wege wurden bisher 575 Personen mit Glücksspielproblemen gefunden und in einem ausführlichen Interview persönlich befragt.

1. Über 4 Millionen Menschen mit Glücksspielproblemen

72% der telefonisch Befragten haben über die Lebenszeit irgendwann mindestens einmal Glücksspiele betrieben. Bei Vorliegen von 5 bis 10 Kriterien nach dem anerkannten Diagnosensystem DSM-IV spricht man von Pathologischem Glücksspielen (also süchtigem Verhalten). Problematisches Glücksspielen wird in der Literatur unterschiedlich definiert (1 bis 4 Kriterien oder 3 bis 4 Kriterien). Für die Darstellung unterteilen wir in: „Problematisches Glücksspielen mit 1 bis 2 erfüllten Kriterien“ (leichte Form) und „Problematisches Glücksspielen mit 3 bis 4 erfüllten Kriterien“ (ausgeprägte Form).

Auf Grundlage der Festnetztelefonstichprobe ergibt sich, dass 0,9% der 14- bis 64- jährigen bundesdeutschen Bevölkerung im Laufe des Lebens mit 5 oder mehr diagnostischen Kriterien die Bedingung für die Diagnose Pathologisches Spielen erfüllen. Weiterhin ergeben die Schätzungen, dass zusätzlich 1,4% Problematisches Glücksspielen mit 3-4 Kriterien im Laufe des Lebens erfüllten und 5,3% mit 1-2 Kriterien. Hochgerechnet ergeben sich folgende Zahlen für die Bevölkerung in der Gruppe der 14-64-Jährigen:

- 480.557 Pathologische Spieler,
- 756.919 Problematische Spieler mit drei oder vier erfüllten Kriterien und
- 2.925.996 Personen, die ein oder zwei Kriterien für Problematisches Glücksspielen

im Lebensverlauf erfüllt haben. Es finden sich deutlich erhöhte Raten bei Männern, jüngeren Personen, Personen mit niedrigerem Bildungsstatus, Personen mit Migrationserfahrung oder -hintergrund und Arbeitslosen. So betragen die Raten für Pathologisches Glücksspielen

- 3,3% bei Arbeitslosen
- 1,8% bei Personen mit Migrationshintergrund und
- 2,7% in der Gruppe der 14- bis 30-jährigen Männer.

31% der Befragten, die über die Lebenszeit die Kriterien für Pathologisches Glücksspielen erfüllten, waren in den letzten 12 Monaten spielabstinent und 54% berichteten mehr als 10 Spieltage. Unter den Befragten mit Pathologischem Glücksspielen gaben 41% an, dass innerhalb der letzten 12 Monate mindestens ein Symptom fortbestand und somit die Problematik noch aktuell ist.

Für Deutschland wird von einer zunehmenden Gruppe von Personen in der Bevölkerung ausgegangen, die nicht über einen Festnetztelefonanschluss erreichbar ist. Auf der Basis von 752 bisher realisierten Befragungen in dieser Gruppe zeigt sich, dass die Lebenszeitprävalenz des Pathologischen Glücksspielens in dieser Stichprobe etwa dreifach und bei statistischer Kontrolle von Alter und Geschlecht etwa zweifach erhöht ist. Vorbehaltlich abschließender Analysen ist damit zu erwarten, dass die obenstehende Bevölkerungsschätzung auf Grundlage der Festnetztelefonstichprobe durch Einbezug der Mobilfunkstichprobe substantiell zu erhöhen ist. Auf Basis der jetzigen Zahlen wäre eine Erhöhung um etwa 0,1% erwartbar, so dass eine Lebenszeitprävalenz von insgesamt 1,0% für Pathologisches Glücksspielen resultieren könnte. Hier liegen jedoch noch keine endgültigen Befunde vor.

2. Geldspielautomaten: Suchtrisiko Nummer 1

Verschiedene Glücksspielangebote wurden hinsichtlich ihres Risikos untersucht, eine Lebenszeitdiagnose Pathologisches Glücksspielen zu erhalten. Bei Teilnahme von mehr als zehn Tagen im Leben war die Chance, eine Abhängigkeit zu entwickeln erhöht für:

- Oddset (deutscher Toto- und Lottoblock)
- Pferdewetten
- andere Sportwetten
- Poker
- das sogenannte Große und Kleine Spiel im Casino
- Geldspielautomaten in Spielhallen oder Gastronomiebetrieben sowie
- das private oder illegale Glücksspiel.

Unter Berücksichtigung, dass die meisten Glücksspieler mehrere Formen des Glücksspielens betreiben, blieb das Risiko für die Teilnahme an Oddset (deutscher Toto- und Lottoblock), anderen Sportwetten, dem Kleinen Spiel im Casino, Poker und Geldspielautomaten in Spielhallen oder Gastronomiebetrieben bestehen. Der deutlichste Zusammenhang zwischen Spielform und dem Vorliegen der Diagnose Pathologisches Glücksspielen ergibt sich für Personen, die an Geldspielautomaten in Spielhallen bzw. Gastronomiebetrieben gespielt hatten oder am Kleinen Spiel im Casino teilnahmen. Für Nutzer dieser Angebote findet sich, verglichen mit den übrigen Befragten, jeweils eine um den Faktor 5,7 erhöhte Chance für die Diagnose des Pathologischen Glücksspielens.

Aus der Sicht der Pathologischen Glücksspieler, welche Glücksspielform am meisten zur Entstehung des Problems beigetragen hat, nannten u. a.

- 50,4% Geldspielautomaten
- 14% das Kleine Spiel im Casino
- 10,3% das Große Spiel
- 8,3% Poker und
- 6% Oddset.

3. Hilfesystem muss ausgebaut werden

Nach Schätzungen auf Grundlage der Festnetztelefonstichprobe haben etwa drei Viertel der Menschen mit Pathologischem Glücksspielen in Hinblick auf Spielprobleme keinerlei Kontakt zum Hilfesystem gehabt. Bezüglich des Problematischen Glücksspielens zeigt sich eine nur marginale Kontaktrate von 5% (bei 3-4 Kriterien) und 1% (bei 1-2 Kriterien). Es ist damit von einer gravierenden Unterversorgung von Menschen mit Pathologischem Glücksspielen und einem Fehlen von Frühinterventionen für Menschen mit Problematischem Glücksspielen auszugehen.

Die PAGE-Studie bietet eine hervorragende Grundlage für eine Fülle von weiteren und vertiefenden Analysen, die in der Zukunft erfolgen werden.

Kontakt:
PD Dr. Hans-Jürgen Rumpf
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universität Lübeck
Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Tel. 0451 5002871
Fax 0451 5003480
E-Mail: hans-juergen.rumpf@psychiatrie.uk-sh.de

Keine Kommentare: